»Homos und Kastraten - ab in die Hölle!«

In Wirklichkeit ist kreuz.net alles andere als fromm und gottesfürchtig. Nicht nur gegen das zehnte Gebot »Du sollst nicht stehlen« haben die Betreiber der Seite verstoßen, sie verbreiten auch offenkundige Lügen und fordern sogar dazu auf, das Tötungsverbot zu brechen. Der vermeintlich heilige Zweck dieses kämpferischen Katholizismus scheint wirklich alle Mittel zu heiligen.

So wie die Produktpiraterie in unseren Geschäften keine Chance hat und sich deshalb am Rande Europas abspielt, so hatte sich kreuz.net wohlweislich einen Server in den USA und ein Phantasie-Impressum besorgt. Dahinter stand offenbar die Absicht, dem deutschen Rechtssystem zu entgehen. Da die Internetpräsenz aber aufgrund der vielen Protestschreiben aus Europa und des Engagements amerikanischer Bürgerrechtler wie David Vickrey [50] selbst in den USA Probleme mit dem ursprünglichen Provider bekam, der fundamentalistischen Hasspredigern kein Forum mehr bieten wollte, musste sie sich im Dezember 2008 einen neuen Server suchen, der sich dann schließlich in Kanada fand. Als Vorbild hatte man sich bei der Wahl der neuen Heimat die deutschsprachigen Rechtsradikalen und Neonazis genommen, die ihre Internetpräsenzen häufig in Kanada hosten, wenn ihnen selbst die USA mit ihrer nahezu unbegrenzten Meinungsfreiheit zu eng werden.

Auch um das Copyright für Fotografien und Textmaterial kümmert man sich wenig: Publiziert wird - meist entsprechend der Aussageabsicht gekürzt und ausgewählt -, was ins Konzept passt. Selbst vor der Erfindung von Nachrichten und Dokumenten schreckt man nicht zurück, wenn man sie kirchenpolitisch gebrauchen kann. So gab der Vatikansprecher Pater Lombardi im Dezember 2009 bekannt, dass ein Dokument, das kreuz.net kurz zuvor als Schreiben der Vatikanischen Gottesdienstkongregation verbreitet hatte, nicht von dieser stamme.

Doch welches ideologische Konzept steht nun hinter kreuz.net? Vielleicht lässt es sich am ehesten mit dem von meinem Doktorvater Thomas Rüster geprägten Diktum »Wie man Katholik, aber nicht Christ sein kann« zusammenfassen. Der Dortmunder Professor wählte diese Charakterisierung für Julius Langbehns 1890 erschienenes Werk Der Rembrandtdeutsche, über das er in seiner Habilitationsschrift urteilt: »Es enthielt alle die Ressentiments und Vorurteile, die ein halbgebildeter und zutiefst reaktionärer Mensch des ausgehenden 19. Jahrhunderts gegen die modernen Zeiten haben konnte.« Besonders falle in diesem Werk der mit »arisch-rassistischen Vorstellungen angereicherte Naturalismus« [51] und Antisemitismus auf.

Kreuz.net kommt wie die aktualisierte Neuauflage des »Rembrandtdeutschen« daher, wobei das Werk aus dem 19. Jahrhundert, verglichen mit dem Niveau von kreuz.net, noch geradezu anspruchsvoll erscheint. Die Juden und Freimaurer wurden als Feindbilder beibehalten. Immer wieder werden Beiträge veröffentlicht, die Existenz und Dimensionen der Shoah leugnen oder liberalen Bischöfen die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen andichten. Wer dieser Geschichtsdeformation widerspricht, wird kurzerhand zum »homoverseuchten Judas« erklärt. Wegen des Antisemitismus der Seite hat sich in Insiderkreisen die Bezeichnung »Hakenkreuz.net« oder »Hetz.net« eingebürgert.

Als Feindbild hinzugekommen sind die (interessanterweise nur männlichen) Homosexuellen, die meist als »Sodomiten« bezeichnet werden. Der Auseinandersetzung mit ihnen widmet man, neben der überschwänglichen Begeisterung für die tridentinische Messe, den meisten Raum. Der Hass auf alles, was mit Homosexualität zu tun hat, kennt keine Grenzen und kein Tabu und erhält gerade dadurch etwas Verräterisches. Zwei Psychologen, mit denen ich kreuz.net genauer analysierte, sind der festen Überzeugung, dass hinter solchen Äußerungen nur Menschen stecken können, die, vermutlich aufgrund der rigiden kirchlichen Sexualmoral, massive Probleme mit ihrer eigenen Sexualität haben. Die Beobachtung, dass die extremste Homophobie unter Katholiken zumeist von zölibatär eingeengten Homophilen ausgeht, scheint auch hier zuzutreffen.

In ihrem geradezu pathologischen Hass stützen sich die von klerikaler Homophobie Getriebenen auf zwei einander widersprechende Theorien: Die erste Theorie besagt, dass es sich bei der »Homo-Unzucht« um eine schwere Krankheit handele, die therapierbar sei. Auch wenn die Gefahr bestehe, dass die zu Therapierenden zum Beispiel bei einer Elektroschockbehandlung stürben, dürfe man zum Schutze der Gesellschaft nichts unversucht lassen und müsse solche Unfälle im Sinne eines höheren Interesses notfalls als Kollateralschaden hinnehmen.

Jedenfalls in Bezug auf den Ausgangspunkt dieser Argumentation können sich die Homophoben auf den langjährigen »Gesundheitsminister« des Vatikans berufen. Der aus Mexiko stammende Kurienkardinal Javier Lozano Barragán ließ im Dezember 2009 kurz nach seiner Emeritierung verlauten, Homosexualität sei keineswegs angeboren, sondern eine schwere, erworbene psychische Krankheit. Die Gesellschaft habe ein Recht darauf, vor solchen Menschen geschützt zu werden. Da Staaten dies nur in seltenen Fällen gewährleisten, blieb dem Kardinal nichts anderes übrig, als mit der Hölle zu drohen: Unternehme der Kranke nichts für seine Heilung, so sei dessen Verdammung in die Hölle nach seinem Tod sicher. Kreuz.net jubelte am 2. Dezember 2009, endlich traue sich ein Kardinal, die Wahrheit zu sagen: »Homos und Kastraten - ab in die Hölle!« Ganz ähnlich argumentiert im deutschen Sprachraum der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, der Schwulen zwar nicht mit der Hölle droht, aber die Überzeugung vertritt, Homosexualität sei eine sündige Krankheit, die therapierbar sei.

Die zweite Theorie geht von der Vorstellung aus, dass die gleichgeschlechtliche sexuelle Veranlagung die schlimmste und verachtenswerteste aller Sünden darstelle. Insofern gelte hier auch nicht die alte christliche Regel, dass die Sünde zwar zu hassen, der Sünder aber zu lieben sei. J§s sei geradezu heilige Pflicht eines Katholiken, den so Veranlagten, selbst wenn er diese Veranlagung nicht ausübe aus ganzem Herzen zu hassen.

Dass diese beiden Theorien unvereinbar sind, scheint man nicht zu bemerken. Einig ist man sich mit einigen extremistischen Muslimen jedoch darin, dass der verstärkte Konsum von Schweinefleisch, die moderne Erziehung sowie die Europäische Union die Homosexualität fördern und Aids die gerechte Strafe für ein solches Verhalten darstellt.

Wo die Strafe Gottes nicht sofort greift, fühlen sich die kreuz.net-Katholiken berufen, am Werk Gottes mitzuwirken. Am 30. Juli 2010 war auf ihrer Internetseite zu lesen: »Wo die Staatsgewalt versagt, muss das Christentum überbrücken, bis eine gottgefällige Regierung in Amt und Würden ist. Darum ist die Gewaltausübung gegen Homosexuelle nicht nur das Recht eines jeden Christen, sondern sogar seine Pflicht.«

Seit der Diskussion über die kirchlichen Missbrauchsskandale und die in diesem Zusammenhang geäußerten Thesen Kardinal Bertones und anderer Bischöfe setzt man in den kreuz.net-Artikeln Homosexualität und Pädophilie systematisch gleich. Offenbar hofft man, über diesen semantischen Trick doch noch breitere Unterstützung für die eigene extreme Homophobie zu finden, die bei weniger als fünf Prozent der westlichen Welt auf Einverständnis stoßen dürfte.

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